© Maze Ziemer

Tangenten

Bauhausfest 2022

Der Mensch als Synthese von Organismus und Mechanismus steht bei Oskar Schlemmer im Mittelpunkt eines jeden Bühnengeschehens. In seinen Bauhaustänzen korreliert das Geschehen mit den formalen Bühnenelementen Raum, Form, Farbe, Licht und Materie. Das Ensemble Atemzug assoziiert die Bauhaustänze wie Metall-, Reifen- und Stäbetanz mit zeitgenössischer Zirkusästhetik und bezieht diese auf den Umraum, auf Licht und umgebende Formen. Unter Einsatz der artistischen Disziplinen Single Wheel, Tanz-Akrobatik, Jonglage und Luftring macht das Ensemble Schlemmers Faszination und Vision für das Mechanische sichtbar.

Thematische Motivation in dem Stück „Tangenten“ ist der Mensch – als Figur im Raum, als plastischer Körper und mechanischer Apparat, und zugleich als kosmisches Wesen, als Individuum und soziales Geschöpf. Dieses Spannungsfeld in Schlemmers Menschenbild ist thematischer Ausgangspunkt der Performance. Den räumlichen Ausgangspunkt bildet die L-förmige Bühne, bei der das Publikum nur einen Ausschnitt des Geschehens direkt verfolgen kann – der verdeckte Teil wird über einen großen Spiegel reflektiert.

Wie Marionetten oder Robotermaschinen, die sich, wie Schlemmer forderte, „nach Maß, Zahl, Form und Gesetz“ bewegen, steuern sechs Figuren durch den Raum, virtuos und in perfekter Balance, als Symbol für Grazie und Anmut – und zugleich unbeseelter Leblosigkeit. Doch das System weist Fehler auf, einzelne menschliche Gesten und Emotionen, die kurz oder wild durchbrechen, chaotische Züge entfalten und eine natürliche Symbiose mit den Zirkus-Objekten ermöglichen, zeigen sich. Über den Spiegel werden Bilder der Aktionen in den Raum geworfen, die Rezeption wird dadurch mittelbar und direkte Verbindungen sind gestört. Die farbgewaltigen Kostüme, die mit Transparenz und Schichtungen spielen, unterstreichen die kontrastierenden Lesarten von menschlichen Körpern. Die glatte Spiegeloberfläche dient als (weg-wischbare) Projektionsfläche für die Körper-Objekte und hinterfragt Un-Möglichkeiten menschlicher Verbundenheit.

Das Ensemble von Atemzug widmet sich der Frage, was Menschlichkeit in unserer heutigen Zeit und im digitalen Raum ausmacht und wie Zirkuskunst zu einem Wandel der Perspektive auf unsere Welt beitragen kann.

 

Eine Produktion von Atemzug e.V.

Regie: Jenny Patschovsky
Choreografie: Benjamin Richter, Cox Ahlers
Konzept: Jenny Patschovsky, Benjamin Richter
Performance und Kreation: Milena Schulz, Noah Rees, Johann Eggebrecht, Sebastian Gonzales, Cox Ahlers, Benjamin Richter
Musik/Cello: Elisabet Iserte
Kostüme: Marcus Barros Cadoso, Rixa Rottonara