Bauhaus und Zirkus
Ein glücklicher Zufall brachte Atemzug im Jahr 2016 zum ersten Mal an das Bauhaus in Dessau. Für das Bauhausfest „Zirkus Zirkus Schwarz Weiß“ entwickelte das Atemzug-Ensemble die Performance „Ein Kybernetischer Zirkus“ über den Bauhaus-Meister Lasło Moholy-Nagy (Regie: Cox Ahlers, Dramaturgie: Jenny Patschovsky). Die Auseinandersetzung mit den Bauhaus-Ideen und -Methoden war für alle äußerst inspirierend und offenbarte spannende Schnittstellen zu (aktuellen) Inszenierungsfragen im Zirkus.
Das Bauhaus bzw. einige Bauhauskünstler haben sich sehr intensiv mit dem Zirkus beschäftigt und dabei nicht nur auf die soziale Stellung (am Rande der Gesellschaft) und den damit verbunden (gesellschaftlichen und künstlerischen) Freiheiten abgezielt, sondern auch bestimmte ästhetische Merkmale des Zirkus untersucht und in ihre Arbeiten, v.a. in die der Bühnenwerkstatt, integriert (z.B. das Interdisziplinäre, die körperliche Präzision, die Interaktionen mit Objekten, der Einsatz von Licht, die Bühnenform..)
Innerhalb der praktischen Recherchen der Atemzug-Künstler:innen ging es vor allem um den gleichberechtigten Einsatz aller Bühnenmittel, bei dem der Aufführungsraum, die Objekte und Requisiten, das Licht und die Kostüme eingehend betrachtet werden und damit dem/der Performer:in eine für den Zirkus neue Stellung gegeben wird. Das Konzept einer subjektlosen Bühnenkunst, bei der der/die Performer:in nur ein Gestaltungselement innerhalb des Gesamtkunstwerks darstellt, wurde von Moholy-Nagy 1925 in seinem Manifest „Theater, Zirkus, Varieté“ beschrieben. Im Zirkus von heute wird es v.a. in der Objektmanipulation und dabei in den Ansätzen des so genannten „Neuen Materialismus“ weitergeführt. Hier treffen wir sozusagen den Kern des Zirkus, für den die Relation zwischen Mensch und Objekt fundamental ist.
Die darauffolgenden Bauhaus-Stücke, die in Zusammenarbeit von Cox Ahlers & Jenny Patschovsky 2019 und 2020 entstanden sind, haben diese neue Objekt-Bewertung als Ausgangspunkt genommen. Die Arbeiten sind immer ortsspezifisch, die Bauhaus-Architektur bilden den Ausgangspunkt der Kreationen. Bei den Stücken „On the Brink“ und „Chamber Suites“ von 2019 wurden die Fassade und mehrere Innenräume des Prellerhauses zur Bühne für eine Innensicht auf die Bauhaus-Utopien, auf die Bewohner:innen und künstlerischen Haltungen.
Vor dem Hintergrund der pandemiebedingten eingeschränkten Aufführungsmöglichkeiten im Jahr 2020 und der damit verbundenen Fokussierung auf digitale Formate stellte sich die Frage nach der Rolle des Performers auf eine neue Art und Weise. Konzepte wie Kontrolle (über das Bühnengeschehen), Risiko (zu Fallen, Scheitern), Partizipation (des Publikums) und „Agency“ der Requisiten/Objekte sind bei einer körperlichen Abwesenheit des Artisten neu zu bewerten. In „Tastbares und Unantastbares“ wurde der Frage nachgegangen, wie stark digitale Formate einen Fokus auf den/die Performer:in und ihren/seinen sichtbaren Körper brauchen, damit sie als interessant und affektiv eingestuft werden. Eine der Performer:innen wurde live per Zoom aus Rotterdam zugeschaltet. Ihre körperliche Abwesenheit wurde in der Performance zum Thema und darüber in Beziehung zu Tastexperimenten von Josef Albers, Moholy-Nagy und Johannes Itten gesetzt, die dem (Er-)Tasten (z.B. von verschiedenen Materialien) eine besondere Bedeutung beimaßen.